Deutsch-Tschechische Erklärung über die gegenseitigen Beziehungen und
deren künftige Entwicklung
Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen
Republik-
eingedenk des Vertrags vom 27. Februar 1992 zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik
über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit, mit dem
Deutsche und Tschechen einander die Hand gereicht haben,
in Würdigung der langen Geschichte fruchtbaren und friedlichen
Zusammenlebens von Deutschen und Tschechen, in deren Verlauf ein reiches
kulturelles Erbe geschaffen wurde, das bis heute fortwirkt,
in der Überzeugung, daß zugefügtes Unrecht nicht ungeschehen gemacht,
sondern allenfalls gemildert werden kann, und daß dabei kein neues Unrecht
entstehen darf,
im Bewußtsein, daß die Bundesrepublik Deutschland die Aufnahme der
Tschechischen Republik in die Europäische Union und die Nordatlantische
Allianz nachdrücklich und aus der Überzeugung heraus unterstützt, daß dies
im gemeinsamen Interesse liegt,
im Bekenntnis zu Vertrauen und Offenheit in den beiderseitigen Beziehungen
als Voraussetzung für dauerhafte und zukunftsgerichtete Versöhnung -
erklären gemeinsam:
I
Beide Seiten sind sich ihrer Verpflichtung und Verantwortung bewußt, die
deutsch-tschechischen Beziehungen im Geiste guter Nachbarschaft und
Partnerschaft weiter zu entwickeln und damit zur Gestaltung des
zusammenwachsenden Europa beizutragen.
Die Bundesrepublik Deutschland und die Tschechische Republik teilen heute
gemeinsame demokratische Werte, achten die Menschenrechte, die
Grundfreiheiten und die Normen des Völkerrechts und sind den Grundsätzen
der Rechtsstaatlichkeit und einer Politik des Friedens verpflichtet. Auf
dieser Grundlage sind sie entschlossen, auf allen für die beiderseitigen Beziehungen
wichtigen Gebieten freundschaftlich und eng zusammenzuarbeiten.
Beide Seiten sind sich zugleich bewußt, daß der gemeinsame Weg in die
Zukunft ein klares Wort zur Vergangenheit erfordert, wobei Ursache und
Wirkung in der Abfolge der Geschehnisse nicht verkannt werden dürfen.
II
Die deutsche Seite bekennt sich zur Verantwortung Deutschlands für seine
Rolle in einer historischen Entwicklung, die zum Münchner Abkommen von 1938,
der Flucht und Vertreibung von Menschen aus dem tschechoslowakischen
Grenzgebiet sowie zur Zerschlagung und Besetzung der Tschechoslowakischen
Republik geführt hat.
Sie bedauert das Leid und das Unrecht, das dem tschechischen Volk durch die
nationalsozialistischen Verbrechen von Deutschen angetan worden ist. Die
deutsche Seite würdigt die Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft
und diejenigen, die dieser Gewaltherrschaft Widerstand geleistet haben.
Die deutsche Seite ist sich auch bewußt, daß die nationalsozialistische
Gewaltpolitik gegenüber dem tschechischen Volk dazu beigetragen hat, den
Boden für Flucht, Vertreibung und zwangsweise Aussiedlung nach Kriegsende
zu bereiten.
III
Die tschechische Seite bedauert, daß durch die nach dem Kriegsende erfolgte
Vertreibung sowie zwangsweise Aussiedlung der Sudetendeutschen aus der
damaligen Tschechoslowakei, die Enteignung und Ausbürgerung unschuldigen
Menschen viel Leid und Unrecht zugefügt wurde, und dies auch angesichts des
kollektiven Charakters der Schuldzuweisung. Sie bedauert insbesondere
die Exzesse, die im Widerspruch zu elementaren humanitären Grundsätzen und
auch den damals geltenden rechtlichen Normen gestanden haben, und bedauert
darüber hinaus, daß es aufgrund des Gesetzes Nr. 115 vom 8. Mai 1946
ermöglicht wurde, diese Exzesse als nicht widerrechtlich anzusehen, und daß
infolge dessen diese Taten nicht bestraft wurden.
IV
Beide Seiten stimmen darin überein, daß das begangene Unrecht der
Vergangenheit angehört und werden daher ihre Beziehungen auf die Zukunft
ausrichten. Gerade deshalb, weil sie sich der tragischen Kapitel ihrer
Geschichte bewußt bleiben, sind sie entschlossen, in der Gestaltung ihrer
Beziehungen weiterhin der Verständigung und dem gegenseitigen Einvernehmen
Vorrang einzuräumen, wobei jede Seite ihrer Rechtsordnung verpflichtet
bleibt und respektiert, daß die andere Seite eine andere Rechtsauffassung
hat. Beide Seiten erklären deshalb, daß sie ihre Beziehungen nicht mit aus
der Vergangenheit herrührenden politischen und rechtlichen Fragen belasten
werden.
V
Beide Seiten bekräftigen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 20 und 21
des Vertrags über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit
vom 27. Februar 1992, in denen die Rechte der Angehörigen der deutschen
Minderheit in der Tschechischen Republik und von Personen tschechischer
Abstammung in der Bundesrepublik Deutschland im einzelnen niedergelegt sind.
Beide Seiten sind sich bewußt, daß diese Minderheit und diese Personen in
den beiderseitigen Beziehungen eine wichtige Rolle spielen und stellen fest,
daß deren Förderung auch weiterhin im beiderseitigen Interesse liegt.
VI
Beide Seiten sind überzeugt, daß der Beitritt der Tschechischen Republik
zur Europäischen Union und die Freizügigkeit in diesem Raum das
Zusammenleben von Deutschen und Tschechen weiter erleichtern wird.
In diesem Zusammenhang geben sie ihrer Genugtuung Ausdruck, daß aufgrund
des Europaabkommens über die Assoziation zwischen der Tschechischen
Republik und den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten
wesentliche Fortschritte auf dem Gebiet der wirtschaftlichen Zusammenarbeit
einschließlich der Möglichkeiten selbständiger Erwerbstätigkeit und
unternehmerischer Tätigkeit gemäß Artikel 45 dieses Abkommens erreicht
worden sind.
Beide Seiten sind bereit, im Rahmen ihrer geltenden Rechtsvorschriften bei
der Prüfung von Anträgen auf Aufenthalt und Zugang zum Arbeitsmarkt
humanitäre und andere Belange, insbesondere verwandtschaftliche Beziehungen
und familiäre und weitere Bindungen, besonders zu berücksichtigen.
VII
Beide Seiten werden einen deutsch-tschechischen Zukunftsfonds errichten.
Die deutsche Seite erklärt sich bereit, für diesen Fonds den Betrag von 140
Millionen DM zur Verfügung zu stellen. Die tschechische Seite erklärt sich
bereit, ihrerseits für diesen Fonds den Betrag von 440 Millionen Kc zur
Verfügung zu stellen. über die gemeinsame Verwaltung dieses Fonds werden
beide Seiten eine gesonderte Vereinbarung treffen.
Dieser gemeinsame Fonds wird der Finanzierung von Projekten gemeinsamen
Interesses dienen (wie Jugendbegegnung, Altenfürsorge, Sanatorienbau und
-betrieb, Pflege und Renovierung von Baudenkmälern und Grabstätten,
Minderheitenförderung, Partnerschaftsprojekte, deutsch-tschechische
Gesprächsforen, gemeinsame wissenschaftliche und ökologische Projekte,
Sprachunterricht, grenzüberschreitende Zusammenarbeit).
Die deutsche Seite bekennt sich zu ihrer Verpflichtung und Verantwortung
gegenüber all jenen, die Opfer nationalsozialistischer Gewalt geworden sind.
Daher sollen die hierfür in Frage kommenden Projekte insbesondere Opfern
nationalsozialistischer Gewalt zugute kommen.
VIII
Beide Seiten stimmen darin überein, daß die historische Entwicklung der
Beziehungen zwischen Deutschen und Tschechen insbesondere in der ersten
Hälfte des 20. Jahrhunderts der gemeinsamen Erforschung bedarf und treten
daher für die Fortführung der bisherigen erfolgreichen Arbeit der
deutsch-tschechischen Historikerkommission ein.
Beide Seiten sehen zugleich in der Erhaltung und Pflege des kulturellen
Erbes, das Deutsche und Tschechen verbindet, einen wichtigen Beitrag zum
Brückenschlag in die Zukunft.
Beide Seiten vereinbaren die Einrichtung eines deutsch-tschechischen
Gesprächsforums, das insbesondere aus den Mitteln des deutsch-tschechischen
Zukunftsfonds gefördert wird und in dem unter der Schirmherrschaft beider
Regierungen und Beteiligung aller an einer engen und guten
deutsch-tschechischen Partnerschaft interessierten Kreise der
deutsch-tschechische Dialog gepflegt werden soll.
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